Finissage: Gespräch in der Ausstellung; Foto: Helge Mundt, Hamburg
DialogZeichen
Einführungsrede von Meike Su, Bremen
Zwischen hohen Bäumen, grünen Sträuchern und Moosen... meine Damen und Herren... denken wir uns für einen kurzen Moment weg von hier. Denken wir, wir stünden nicht gerade im Neuen Worpsweder Kunstverein zwischen den Werken von Harald Finke, sondern mitten in einem tiefen, dichten Wald. Kein Autolärm, kein Gebrabbel aus dem Fernseher, kein Ticken einer Uhr... Doch wer glaubt, wir fänden an diesem Ort nur Stille und Einsamkeit vor, der würde wohl den Tücken der gewohnten Denkweisen verfallen und das Sich-Wundern, das Sich-Fragen vergessen: Was mag sich wohl hinter dem für uns Wahrnehmbaren befinden?
Glaubten wir stets nur unseren Sinnen, blieben wir gewiß auf der Wiederholungsspur des bereits Bekannten. Wollen wir aber wissen, wie die Welt hinter dem Sichtbaren erscheint, lohnt es sich manchmal andere Wege einzuschlagen und das Augenmerk auf das Unbekannte zu richten. Dann eröffnet sich uns ein Spiel der Möglichkeiten, in dem wir plötzlich das uns Fremde in den Fokus bekommen.
Das Spiel heißt bei Harald Finke „experimentelle Versuchsanordnung“. Tatsächlich brauchen wir uns nur im Raum einmal umzuschauen: Verkabelte Drachenbäume und abstrakte, an Labormessung erinnernde Zeichnungen... Nicht wie der traditionelle Künstler mit Pinsel und Farbpalette, sondern ähnlich wie ein Wissenschaftler agiert Harald Finke – so scheint es jedenfalls auf den ersten Blick. Ob dieser erste Eindruck treffend oder trügerisch ist gehen wir nun im Folgenden nach. Wenden wir uns zunächst den als Pflanzenschriften beschriebenen Bildern genauer zu.
Die kleineren Formate zeigen vor dunklem Grund feine, verschiedenfarbige Linien. Allgemein lassen sich darin zwei Zeichencharaktere ausmachen: Auf der einen Seite sind es diese leicht gepixelten, nach verschiedenen Richtungen ausschlagenden Striche – auf der anderen Seite können wir zwischen diesem
Performance zur Ausstellungseröffnung mit Drachenbaum (Assistenz: Scindapsus aureus), Matthias Winkler, H.Finke; Foto: Michael Schmidt, Berlin
Liniengewirr aber auch präziserere Setzungen ausmachen. Das Ganze des Über- und Ineinanders roter, blauer und gelber Striche vermittelt den Eindruck von einem räumlichen Liniengeflecht. Dann bei näherer Betrachtung lässt sich feststellen, dass sich innerhalb des vermeintlich chaotischen Wirrwarrs eine gewisse Struktur bzw. Ordnung durchsetzt: Auffällig sind zum Beispiel Knotenpunkte oder Andeutungen von schalenähnlichen Formen.
Die Pflanzenschriften sind Ergebnisse aus einer Reihe von Versuchsanordnungen, in denen es um eine Art Interview mit der Pflanze geht. Die Pflanze verkabeln und mit einem Computer vernetzen: So können während des Dialogversuchs elektrostatische Signale visualisiert werden. Oder genauer gesagt: Mit Hilfe der Computer-Maus sendet Harald Finke Impulse an die Pflanze, deren Reaktionen darauf auf dem Grafikfeld des Bildschirms aufgezeichnet werden. Gleichzeitig zeichnet das Programm auch seine Aktionen mit auf – wodurch sich die unterschiedlichen Strichcharaktere in den Pflanzenschriften erklären.
Die Zeichnungen beschreiben also eine Art Reaktionsmuster. Bemerkenswert ist: Auch wenn wir Betrachter den Bildern nicht entnehmen können, worum es in dem Dialog tatsächlich ging, so können wir in den Überlappungszeichnungen so etwas wie Rhythmus und auch Spannungsbögen ausmachen. Und dies wiederum lässt Rückschlüsse auf den Entstehungsprozeß zu, der, wenn wir versuchen die Handlung nachzuvollziehen, einem Zeichnen im Duett gleichzukommen scheint. Varianten zu diesen Pflanzenschriften hängen gleich daneben. Hier hat Harald Finke im Nachhinein noch auf den Ausdruck mit Acrylfarben gemalt – quasi ein Nachwort, ein Schlußakord.
Es gilt aber hervorzuheben: Die technischen Aparaturen sind eher als Werkzeug zu verstehen, das dem ehemaligen Beuys-Schüler hilft, sein eigentliches Ziel zu verfolgen. Bereits seit Ende der 1970er Jahre widmet sich Harald Finke einer breitangelegten Suche, die sich stets um das Thema Kommunikation dreht und dabei sehr unterschiedliche Richtungsweisen einschlagen kann. Ob Zeichnung, Fotografie oder Aktion - immer steht hier in der Werkauswahl die Annahme im Vordergrund: Pflanzen sind sich mitteilende Wesen! Nur inwieweit kann es - trotz des Sprachproblems - einen Austausch zwischen Mensch und Pflanze geben?
Bei der Dialog-Frage zwischen Mensch und Pflanze geht es – und das lässt sich anhand der Pflanzenschriften sehr gut nachvollziehen – nicht um eine romantisch-verklärte Perspektive. Sogar weit davon entfernt den Austausch mit den Pflanzen zu vermenschlichen versucht Harald Finke erst gar nicht, dem Fremden das Eigene überzustülpen. Er ist sich bewußt, dass das Andere und seine Spezifik zu
Blick in die Ausstellung - "Pflanzenidee", "MineralPflanze 1-4"; Farbstift auf Zeichenkarton, 200x110cm, 1998/2011; Foto: Helge Mundt, Hamburg
ignorieren, nur in eine Absurdität führen kann, wie sie der amerikanische Konzeptkünstler John Baldessari Anfang der 1970er Jahre offenlegte, indem er einer Topfpflanze das Alphabet beibringen wollte. Doch während Baldessari humorvoll den Sinn seiner Unterrichtsstunde in Unsinn verwandelte, schlägt Harald Finke innerhalb seiner Versuchsanordnungen eine andere Richtung ein. Für ihn geht es – wie er sagt – um „die Pflanze als solche, als fremdes, ihm fremdes, aber sehr sympathisches Lebewesen, das hervorgehoben werden sollte“1. Hinter seinem experimentellen Spiel verbirgt sich also eine Ernsthaftigkeit, mit der er sich langsam Schritt für Schritt an einen gattungsübergreifenden Austausch herantastet.
Auch liegen Forschungsergebnisse vor, in denen man wissenschaftlich die Kommunikationsfähigkeit der Pflanzen nachgewiesen hat. So hat man beispielsweise herausgefunden, dass die Pflanzen neben biochemischen Warnsignalen vor Fressfeinden offensichtlich auch akustische Reize zur Verständigung einsetzen. Aber Harald Finkes langjähriges Forschen um einen Dialog zwischen Mensch und Pflanze geht noch tiefer. Es geht um einen Perspektivwechsel: Was, wenn es ein SEIN der Natur gibt? Was geschieht dann mit unserer Wahrnehmung von Welt, wenn ein Natursubjekt die menschengedachte Hierarchie zu Fall bringt? Auch wenn es heute nicht/ oder noch nicht wissenschaftlich nachweisbar ist, aber kann nicht ein Modell denkbar sein, das auf einer Art inneren Verbundenheit der Welt basiert?
„Kunst ist das einzige, was den Leuten bleibt, die der Wissenschaft nicht das letzte Wort überlassen wollen.“2 - diese Worte stammen von Marcel Duchamp, und doch könnten sie wohl kaum treffender auch für das künstlerische Schaffen Harald Finkes formuliert werden. In seinen Versuchsanordnungen eher der Phantasie und Intuition als dem rationalem Denken folgend, arbeitet er an der Erweiterung unserer Wahrnemungsmöglichkeiten. So entwickelt er mit den DialogZeichen Lücken, die Fragen zum Sichtbarem und Unsichtbarem, zu Kunst und Nicht-Kunst aufwerfen. Und wir Betrachter? Wir sind eingeladen, uns an diesen Lücken zu reiben bzw. uns mit ihnen auseinanderzusetzen, um dann gegebenenfalls unsere Vorstellung von Welt neu zu bestimmen.
Rauminstallation; Foto: Helge Mundt, Hamburg
Eine Annäherung an das Pflanzenreich muss aber selbstverständlich nicht zwangsläufig von einem computergestützten System abhängig sein. Beispielgebend dafür ist die Aktion Fotohaut an Fichte. Harald Finke suchte sich Ende der 1990er Jahre in einem Wald seine Fichte aus, fotografierte sie, und kam mit dem fotografischen Abzug zu ihr zurück. In der folgenden Aktion übergab er die abgekratzten Krümel der Fotohaut, die Spurenelement von Silber enthält, als Geschenk an den Baum. So kann die Fichte später das Silber als Nahrung über die Wurzeln aufnehmen. Nach dieser Begegnung entstand die MineralPflanzen-Serie. In den roten Farbstiftzeichnungen dringt Harald Finke gewissermaßen imaginär in das Innere der Pflanze ein und sieht sie von innen. Im Nachsinnen wird eine Verbindung zur Pflanze hergestellt, die die Dualität von Wahrnehmenden und Wahrgenommenes nicht kennt. Wie ist es, als dieser Baum zu wachsen, mit den Wurzeln „in die Erdkrumen zu tasten“3, um darin nach Nahrung, Mineralien, zu suchen?
Im Unterschied zu den Pflanzenschriften, sind in diesen Bildern geometrische Formen auffällig präsent. In den roten Zeichnungen zeigt sich eine Art Grundriss, Polygone, als schauten wir durch ein Vergrößerungsglas auf eigentlich mikroskopisch kleine Kristalle. Kreisende Netze sind filigran darüber gezeichnet und überziehen die Fläche mit einer onamentalen Fülle. Es könnte sich hier um organische Elemente, sehr feine Adern oder Nervenbahnen handeln. Schlängelnde Formen bilden einen dynamischen Fluß, der das oben und das unten miteinander verbindet.
Beinah wie in einen zeitlosen Raum schauen wir auf die großformatigen Bilder hier mit den Acrylübermalungen. Und obwohl der Hintergrund aus einem cross-over der Pflanzenschrift besteht, erweisen sich die Bilder bemerkenswert minimalistisch. Bewirken doch die Formen der Kreise den Eindruck eines schlichten, aber kraftvollen Bildganzen. Beinah könnte man meinen, wir hätten es mit einer Art Code zu tun. Es liegt nah sich hier an archaische Formen erinnert zu fühlen – und damit auch an philosophische Diskussionen: Ob in diesen Urformen das Geheimnis für die Vielfalt der Dinge liegt?
Fast ist es nun Zeit, dass wir uns den Drachenbäumen selbst zuwenden und der Einladung zum musikalischen Dialog zwischen ihnen, Harald Finke und Matthias Winkler folgen. Aber zuvor noch ein
letzter abschließender Gedanke: Warum überhaupt einen gattungsübergreifenden Dialog anstreben? Ist es nicht schon schwierig genug sich untereinander mit dem Ehepartner, den Arbeitskollegen oder den Nachbarn zu verständigen und sich um ein wirkliches Verstehen zu bemühen? Zu Prüfen ist, ob über den dialogischen Umweg mit dem Pflanzenreich am Ende ein Erleben steht, dass das Prinzip der Verständigung im Kern verdeutlicht – sei es nun zwischen Pflanze und Pflanze, zwischen Mensch und Pflanze oder auch zwischen Mensch und Mensch. Dort wo gesendet wird, bedarf es zum Empfangen der Nachrichten immer einen offenen Geist und eine Bereitschaft, auf das Nehmen mit einem Geben zu reagieren. Harald Finkes Arbeiten animieren für diese notwendige Aufmerksamkeit und so sind auch seine DialogZeichen zu verstehen: bedingungs- und grenzenlos.
1Sautter, Florian (2012): Gespräch (1) – Florian Sautter-Harald Finke, Hamburg-Hamburg, 18.3.1999. In: Florian Sautter, Harald Finke (Hg.): dialogische Hand – im Austausch mit Stein, Pflanze, Tier. Hamburg, S. 11.
2Molderings, Herbert (2006): Kunst als Experiment. Marcel Duchamps „3 Kunststopf-Normalmaße“. München-Berlin, S. 147
3Sautter, Florian (2012): Gespräch (2) – Florian Sautter-Harald Finke, Sieversen, 13.4.2012. In: Florian Sautter, Harald Finke (Hg.): dialogische Hand – im Austausch mit Stein, Pflanze, Tier. Hamburg, S. 200.